Moncton Tidal Bore (Sony A7 III + Tamron 28-75mm f/2.8 Di III VXD G2; 1/640s bei f8 und 28mm; ISO 100)

Nach einem rutschigen und sehr sehr matschigen Abstieg stehe ich am Rand des Flusses „Petitcodiac River“ und versuche in der gegenüberliegenden Kurve des Flusses die kommende Welle zu erspähen.

Kurze Zeit später kommt sie dann auch. Am Rand des Ufers sieht man ganz klein Weißwasser gegen die Steine branden und wenn man genau hinhört, hört man auch wie sich die Gezeitenwelle Stück für Stück ihren Weg den Fluss hinauf bahnt. Jetzt heißt es rein ins Wasser und möglichst gut im Fluss positionieren und das Ganze am besten ziemlich schnell. Witzigerweise merke ich jedes Mal wenn ich das erste Weißwasser der Welle sehe, wie mein Puls spürbar steigt und mein Herz das klopfen anfängt.

Moncton Tidal Bore (Sony A7 III + Tamron 28-75mm f/2.8 Di III VXD G2; 1/500s bei f8 und 75mm; ISO 100)
Witzig ist das Ganze deswegen, weil die Welle an und für sich weder besonders hoch, noch schnell, noch stark oder in irgendeiner Weise gefährlich ist. Wie bei vielen Sachen im Leben steigt anscheinend auch hier bei dieser Welle der Wert einfach nur durch ein sehr geringes Angebot und genau das bringt meinen Puls ein bisschen zum Rasen.

Die Gezeitenwelle – oder wie die Kanadier sie nennen „Tidal Bore“ oder „Mascaret“ – entsteht jeden Tag genau zwei mal und zwar genau dann, wenn die auflaufende Flut aus dem Meer in den Fluss strömt und dann als Welle über die eigentlich entgegengesetzte Strömung des Flusses läuft.
Wellenvorhersage (Sony A7 III + Tamron 28-75mm f/2.8 Di III VXD G2; 1/125s bei f7.1 und 69mm; ISO 100)
Das heißt für mich, ich habe ziemlich genau einen Versuch – wenn man die zweite Welle in der Nacht mitrechnet maximal zwei Versuche – am Tag diese Welle zu erwischen. Und genau mit diesem Wissen im Kopf sitze ich nun in der linken Hälfte des Flusses und beobachte wie die kleine Welle Stück für Stück weiter auf mich zurollt. In der Mitte des Flusses ist sie teilweise nur sehr sehr schlecht zu erkennen, aber am Packufer des Flusses sieht man nun wie eine gerade zu perfekte Mini-Barrel auf die Steine bricht.

Leider ist diese Barrel aber nur sehr niedliche 30-40 Zentimeter hoch und die Chance diese kleine Welle so anzupaddeln, dass sie mich auf die Reise flussabwärts nimmt nur sehr gering.
Moncton Tidal Bore (Sony A7 III + Tamron 28-75mm f/2.8 Di III VXD G2; Bildausschnitt von 1/200s bei f10 und 75mm; ISO 100)

Die Vorhersage für den heutigen Tag – und auch für die nächsten Tage – bewertet die geschätzte Wellenhöhe nur mit einem von maximal vier möglichen Punkten. Die Wellenhöhe hängt insgesamt von mehreren Faktoren ab, aber einer der Hauptfaktoren ist – wie bei jeder Flut – die Position des Mondes und der Sonne zum Planeten Erde. 

Sonne und Mond ziehen mit ihrer Anziehungskraft an der Erde und somit auch an allen Wassermassen. Stehen Sonne und Mond, wie beispielsweise bei Vollmond und Neumond in gleicher Richtung zur Erde, addieren sich ihre Anziehungskräfte und es sind die höchsten Hochwasser, die niedrigsten Niedrigwasser und die größten Gezeitenwellen zu erwarten. In unserem Fall sind wir noch einige Tage vor dem nächsten Vollmond und müssen uns leider mit sehr kleinen Wellen zufrieden geben.

Moncton Tidal Bore (Sony A7 III + Tamron 28-75mm f/2.8 Di III VXD G2; 1/160s bei f10 und 28mm; ISO 100)
Nichtsdestotrotz sitze ich nun hier und warte. Wenige Sekunden bevor die Welle in meine direkte Nähe kommt, lege ich mich auf den Bauch und versuche so schnell zu paddeln, dass ich mit dem Board die gleiche Geschwindigkeit erreiche wie die Welle selbst. Da die kleine Welle kaum Kraft hat, kann man sich hier nicht wie bei großen Ozean-Wellen darauf verlassen von hinten angeschoben zu werden, dementsprechend paddle ich wie ein Berzerker.

Die zwei Tage zuvor war ich jeweils zu langsam. Beim ersten Versuch war die Welle so klein, dass ich sie zwar von Weitem noch sehen konnte, sie dann aber kurz vor mir nicht mehr zu erkennen war und einfach unter mir durchschwappte.
Moncton Tidal Bore (Sony A7 III + Tamron 28-75mm f/2.8 Di III VXD G2; 1/500s bei f7.1 und 75mm; ISO 100)
Moncton Tidal Bore (Sony A7 III + Tamron 28-75mm f/2.8 Di III VXD G2; 1/500s bei f8 und 28mm; ISO 100)

24 Stunden und 50 Minuten später verpasste ich die Welle dann wieder ganz knapp – dieses mal, weil ich einfach zu langsam war. Heute, weitere 24 Stunden und 50 Minuten später, scheint sich die ganze Kraulerei endlich auszuzahlen. Für ein paar Meter nimmt sie mich tatsächlich auf dem Bauch und auf den Knien mit. Zwar kann ich die Welle nicht kilometerweit den Fluss hinab abreiten, denn sobald ich aufstehe schiebt die Welle einfach zu wenig und rutscht unter dem Board durch, aber es fühlt sich trotzdem an wie ein großer Erfolg.

Moncton Tidal Bore (Sony A7 III + Tamron 28-75mm f/2.8 Di III VXD G2; Bildausschnitt von 1/200s bei f10 und 75mm; ISO 100)
Moncton Tidal Bore (Sony A7 III + Tamron 28-75mm f/2.8 Di III VXD G2; Bildausschnitt von 1/200s bei f10 und 75mm; ISO 100)

Zwei weitere Male versuche ich mein Glück an den folgenden Tagen, einmal tagsüber und einmal etwas abenteuerlicher im Dunkeln kurz vor Sonnenaufgang um kurz vor Fünf Uhr morgens. Beide Male bin ich zu langsam oder die Welle zu schwach oder beides, aber jedes Mal treibt es mich wieder in Wasser, denn die ganze Atmosphäre, das Warten, die Anspannung und nicht zuletzt die vielen Schaulustigen Touristen am Flussufer, von denen sich selbst Nachts ein paar hier versammeln um das Einlaufen der Welle zu beobachten macht das Ganze einfach zu spannend um es nicht immer wieder zu versuchen.

Surfen bei Nacht (Sony A7 III + Tamron 28-75mm f/2.8 Di III VXD G2; 1/125s bei f2.8 und 28mm; ISO 12800)
Für potenzielle Nachamer sei an dieser Stelle erwähnt, dass das Surfen in Moncton offiziell nicht legal, aber offenbar in den meisten Fällen geduldet wird.

Informationen über Wellenhöhe und Einlaufzeit findet man an der Touristen-Information in Moncton oder unter https://tides.gc.ca/en/stations/00175 .

Wichtig ist immer mindestens 20 Minuten vor der vorhergesagten Zeit startklar am Wasser zu stehen, um evtl. zu frühe Wellen nicht zu verpassen. Den besten Blick auf das Spektakel findet man im sogenannten „Parc du mascaret“ / „Bore Parc“ in GPS :

46.0895145, -64.7709387
Bore Parc - Eventzone Moncton (Sony A7 III + Tamron 28-75mm f/2.8 Di III VXD G2; 1/125s bei f8 und 28mm; ISO 100)
Bore Parc - Eventzone Moncton (Sony A7 III + Tamron 28-75mm f/2.8 Di III VXD G2; Bildausschnitt von 1/80s bei f5.6 und 28mm; ISO 100)